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Wenn wir heute Abend eine Kunstausstellung als eine Veranstaltung des Vereins der
ehemaligen Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums der Benediktiner eröffnen, wenn
der Künstler zu eben diesen Ehemaligen gehört und nun selbst Kunsterzieher an unserer
Schule ist, dann liegt es nahe, dort Wege des Zugangs zu den Arbeiten von Christoph
Mause zu suchen, wo er selbst in seiner Schülerzeit und seiner Lehrerzeit sich prägen
lassen konnte.
Kardinal John Henry Newman, der Begründer der Universität in Dublin, sah die Orden als
Lehrmeister Europas. Die Schulen der Jesuiten nannte er Schulen der praktischen
Erfahrung, die der Dominikaner Schulen des Wissens. Die Schulen der Benediktiner der
Poesie, wobei er mehr meinte als die Kreativität der Sprache. Er sah vor sich all die Ausweise
benediktinischer Kultur über die Dichtung hinaus in Malerei, Goldschmieden, Plastik,
Architektur und Musik und vielen anderen Bereichen kreativen Schaffens.
Voraussetzung dafür ist die Offenheit, die Geöffnetheit, die Aufmerksamkeit, die charakteristisch schon
mit dem ersten Wort der Regel, dem Imperativ „ausculta“ gefordert wird. Es hier nicht nur die Schärfung
des Ohres, die Verbesserung akustischer Rezeption gemeint, wie bei einem Jäger, einem Wächter.
Gleich darauf spricht die Regel vom Ohr des Herzens, von einem Auge, das das göttliche Licht
wahrnehmen kann.
Die Schule St. Benedikts (das ganze Kloster ist eine solche Schule) ist
eine Stätte der Übung der Sinne und der Suche nach dem Sinn. Solche
Übung nennt Benedikt nach römischen Soldatenbrauch „meditatio“:
Über die Sinne, die Sinneserfahrung zum Nachsinnen kommen und
Sinnerfahrung ermöglichen.
Die Antike und mit ihr über die
karolingische Renaissance das
Mittelalter hat wie Augustinus
unterschieden in „res“ und
„signum“ in „factum brutum“, in
Sachen und Bedeutungsträger. In
den Schulen wurde am Beispiel der
Literatur für jede Erfahrung mit der
uns be-gegnenden Welt, den
Gegen-ständen ein vierfacher Weg
gelehrt. Der erste Weg ist der der
Sinne in der Dimension des
Faktischen, Wahrnehmung im
Sinne des Habbaren, Begreifbaren,
Nutzbaren, Brauchbaren, eindimensional eindeutig. Ein Fisch ist ein
Fisch ist ein Fisch. Ist dies eine Perle oder ist es ein Imitat fragte der
Perlensucher aus dem Evangelium den Chemiker. Der antwortet
nach einer halben Stunde Analyse im Labor: Ja es war eine.
Die Stufe der Faktizität und der Bemächtigung der Dinge wird überstiegen von der Stufe der
Allegorie, der Typologie. Die Ebene des Sensualismus und der reinen Empirie wird verlassen, das
begegnende Etwas, die „res“ wird zum „signum“ zum Symbol. Es öffnet seine
Mehrdimensionalität und offenbart einen
hintergründigen tieferen Sinn. Wahr-nehmung
wird hier mit Bindestrich geschrieben als
Offenheit, als Akzeptanz von Wahrheit. Noch ist
diese Ebene von Kenntnis und Wissen geprägt,
von Erfahrungen anderer meist narrativ vermittelt,
so ist auf der nächsten Ebene die Begegnung mit
den Gegenständlichen nicht mehr steuerbar,
planbar und lehrbar. Hier geht es um die
existentielle Auseinandersetzung, um die
Bereitschaft, sich selbst treffen zu lassen. Hier sieht
nicht der Mensch, hier wird er angesehen und
bewegt. R. M. Rilke schließt sein Gedicht
„Archaïscher Torso Apollos“:
„(…): da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.“
Diese Ebene, die die Antike die Tropologische
nannte, die Bewegende, wo Begreifen zum
Ergriffensein wird und das Leben ändert, wird
noch einmal letztlich überschritten auf den vierten
Weg der Anagogia. Dieser letzte Weg wird möglich, wenn das Gegenüber
korrespondiert mit den eingeborenen Passstellen, wie Schlüssel in Schlüssellöcher
in der Tiefe des menschlichen Herzens. „Hinauf in die Tiefe“ ein Paradoxon
Benedikts, das längste Kapitel der Regel, das Siebte von der Demut beherrscht.
Seeblicke nennt Christoph Mause seine
Ausstellung. Seeblicke mit zwei „e“, weil er
heute aus seinen Arbeiten die Fische
mitgebracht hat. Verschmitzt hat er aber
auch ein kleines „h“ in den Titel beordert,
damit wir wissen, worauf es ankommt.
Sehen zu können und was das bedeutet
habe ich gerade in der Lehre von der
vierfachen Einsicht dargelegt.
Christoph Mause fokussiert in diesem
kleinen Raum, in dem bewusst der
historische Bezug mitklingen soll, besonders
jener kraftvollen Bildersprache der Thora, die hier verborgen geborgen war, bevor
der „Tod“ kam, der „Meister aus Deutschland“. Dieser bewusst schmale Blickwinkel, diese bewusst konzentrierte Seeweise
macht es möglich auf der zweiten Ebene nicht ausschweifen zu müssen. Das Wasser als Symbol des Lebens, auch des Todes.
Der Fisch als Leben und Tod unmittelbar zugehörig. Fisch als Parabel und Metapher. Gerade weil Christoph Mause die Objekte
Fische (wie alle seine Tierplastiken) in meisterhafter Genauigkeit modelliert und koloriert sind sie in Kontext und Korrespondenz
mit den ihnen zugeordneten Gegenständen nicht Wiedergabe von zoologischen Fakten, sondern Sichtbarmachen von
unsichtbaren Gegebenheiten.
Es bleibt dem Betrachter
überlassen, sich von einem
verschmitztem Humor und von
sauerländischer Schlitzohrigkeit,
von Johanna und Jonas erlernter
kindlicher Phantasie, von
erfahrener und sichtbar-
gemachter Sinnlosigkeit und
Ängsten oder von trotziger
Hoffnung mitnehmen zu lassen
auf den Weg persönlicher Ein-
sichten. Einsamkeit, Gefährdung
des Lebensraumes, Liebe,
Sehnsucht, Angst, Tod.
Gerade das Element der Fabel,
Menschen in Tieren zu
entfremden, hier in Fische,
ermöglicht eine Distanz, die sich
traut zuzusehen und sich ändern
zu lassen. Gerade die
Fotogenauigkeit und die fotohafte
Erstarrung von Zeitabläufen,
Lebenszeitabläufen ermöglichen
die Erfahrung der Wahrheit des
Augenblicks, die in kraftvoller
Spannung steht zum imaginären „Weiter“. Der Kuss hat schon den Tod verschluckt.
Die Einfachheit der Bezüge in den Arbeiten von Christoph Mause ermöglichen eine
Stille und eine Konzentration des Betrachters unterstützt durch diesen Raum, die uns
als berechtigte und notwendige Flucht erscheint aus den Geräuschbergen von Tönen
und Reden, aus der Überschwemmung der Bilder.
Die Arbeiten von Christoph Mause fördern deshalb
nicht nur die Fähigkeit zur Ästhetik als der Fähigkeit
zur Wahrnehmung und Empfindsamkeit, als
Gewahrwerden von Sinnen, sondern schließen auch
Eindrücke aus im Sinne einer Anästhetik, einer
Wahrnehmungsverweigerung damit uns in der Flut
der Bilder und Töne Hören und Sehen vergeht.
Lieber Christoph,
Dank, dass Du uns eingeladen hast.
Dank, dass Du uns teilnehmen lässt an deinen
Arbeiten, dass Du uns suchen lässt nach Tief- und
Hinter- und Abgründigem.
Die frühe Kirche hat nach dem
bekannten Akrostichon, dem
griechischen Wort für Fisch „ΙΧΘYΣ“,
das auf Christus bezogen war, dessen
Buchstaben, die Anfangsbuchstaben
ein kurzes Glaubensbekenntnis
ausdrücken. Sie hat aber auch die
Christen als „pisciculi“ bezeichnet: „Fischlein“.
Tertullian schreibt: „Wir werden nach der Ähnlichkeit unseres Ichthys Jesus
Christus im Wasser geboren und durch Verharren im Wasser finden wir Heil.“
Ich wünsche Ihnen, liebe Gäste, dass Sie heute, oder wenn Sie sich noch mal in
Ruhe und Stille hierher begeben vom Sehen zum Schauen kommen von der
Wahrnehmung zum Gewahrwerden.
(Rede anlässlich der Ausstellung im Bürgerzentrum Alte Synagoge in Meschede, 5. Dezember - 19. Dezember 2001)
Königskinder, Detail, 1996
Königskinder, 1996
Kleines Wasser, 2001
Kugelfisch, 1996
Korallenfisch, 1997
Große Schwebrenke, 1997
Bachforelle, 1997
Bachforelle, Detail, 1997
Kuss, Detail,1997
Kuss, 1997
blue and white fish, 2000
fishing, 2000
Anemonenfische, 2001
Weiß, Grau und Schwarz, 2001
Et in Arcadia Ego, 2000