FON 0291-56560
D-59872 Meschede
mail[at]christophmause.de
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kunstfreunde,
ich bedanke mich für Ihr Interesse und begrüße Sie herzlich zur Ausstellung
„Tierobjekte“ von Christoph Mause im Bürgerhaus der Stadt Selm.
Dem Tier als Thema traditionellen Kunstschaffens wiesen die Künstler vergangener
Epochen unterschiedliche Rollen zu: entweder als Sinnbilder heroischer Macht und
Stärke, als mythologisches Objekt der Furcht oder Bewunderung, als nutzbare
Diener oder als ‘geliebtes Tier’ mit dem Hintergedanken der Ersatzbefriedigung.
Nicht umsonst stellen Bären, Adler und Löwen ein gut Teil der Herrschaftssymbolik auf Wappen und Flaggen dar oder bilden die
Ungeheuer in zahllosen Sagen, während dem besten Freund des Menschen in kurios-frivolen Bildern die doppeldeutige Rolle
von Kuscheltieren zugewiesen wurde.
Darüber hinaus entdeckte die Populärkultur das Tier als Objekt der Spielzeugindustrie, Werbeträger oder - etwa in den fröhlich-
bunten Werken Otmar Alts - als lustige Gesellen für massenkompatible Wimmelbilder.
Anders hingegen Christoph Mause, der nicht nur solche Tiere für seinen imaginären Kunstzoo auswählt, die normalerweise in
der Kunstwelt eher selten auftauchen, sondern diese zudem als mimetisch-realistische Skulpturen in ungewohnte
Zusammenhänge stellt. Seine Amphibien, Maulwürfe oder Fische taugen kaum zu machtvollen Staatssymbolen oder
sinnfälligen Metaphern menschlicher Eigenschaften; eröffnen weder den Sack naheliegender Allegorien noch biedern sie sich
als Schmusetiere oder gefällige Lustobjekte der Reklamewelt an und stehen auch nicht als Tierschutz-Mahnungen etwa für eine
bedrohte Artenvielfalt zur Verfügung. Dass sich Christoph Mauses subjektiver Kosmos sowohl der empirischen wie der
idealischen Deutung häufig entzieht, macht ihn zwar besonders spannend, erschwert aber auch die schlüssige Analyse und
glatte Einordnung in den kunsthistorischen Zusammenhang. Insofern kann diese knappe Einführung nur einige - ebenfalls
subjektive - Anstöße zu eigenen Assoziationen der Beobachter geben.
Vielmehr bestechen die Minimal-Installationen von Mause auf der inhaltlichen Seite durch ihr
Spiel mit Doppeldeutigkeiten, den Erwartungshaltungen des Betrachters und den
ungewöhnlichen Kontexten. In formaler Hinsicht leben die Arbeiten von einem Austarieren
der Kräfte, dem Kontrast zwischen täuschend echt wirkenden Tierobjekten und abstrakten
Kraftlinien aus Drähten oder Seilen innerhalb augenscheinlich widersinniger Situationen, in
die sie der Künstler setzt. Ihm geht es um eine Transformation der Motive, um verfremdende
Umdeutung. Das verblüffend animierte Eigenleben seiner Objekte erzielt er mit Hilfe
spannungsreicher Gegensätze und Materialkontraste wie ‘weich / hart’, ‘warm / kalt’, ‘statisch
/ dynamisch’, ‘hell / dunkel’, ‘lebend / tot’, ‘labil / stabil’ oder ‘künstlich / natürlich’, deren
dualistisches Prinzip Mause in handwerklich aufwändigem Verfahren und liebevoller
Materialbearbeitung realisiert. Dabei löst er häufig so genannte ‘objet trouvés’ wie
Holzplatten oder Modelleisenbahnschienen aus ihrem ursprünglichen Verwendungsbezügen
heraus und kombiniert sie mit seinen Tierobjekten, die er aus Modelliermasse formt und in
langwieriger Prozedur farbig fasst.
Gerade dieses beziehungsreiche Experiment mit ebenso
lapidaren wie spannungsvollen Kontrasten der - für sich
genommen - banalen Gebrauchsgegenständen des
alltäglichen Lebens wie Leiter, Tisch oder Kochgeschirr, die
er in ungewöhnliche (Un-) Sinnzusammenhänge stellt,
charakterisiert Mause ebenso als eigenständigen Künstler,
wie als ehemaligen Meisterschüler seines berühmten
Akademielehrers Prof. Reiner Ruthenbeck. Neben der
beiden eigenen, gleichsam magischen Ausstrahlungskraft
ihrer kontemplativen Objekte kennzeichnet sie ein
feinsinniges Kalkül und die Faszination an formaler Klarheit
und am labilen Gleichgewicht einer ausponderierten
Balance. Diese skulpturale Neugier auch am Ausloten der
Schwerkraft wird bei den hier gezeigten Objekten besonders
deutlich an den „Vier Maulwürfen“ (1993), die an vier
auseinanderstrebenden Holzplatten bis zur Oberkante
hochgeklettert sind. Das Kippen der schrägen Planken und damit den Absturz verhindern die
Tiere nur dadurch, dass sie die Ecken einer quadratisch gespannten Schnur mit ihren Krallen
festhalten. Ein ähnlich fragiler Schwebezustand teilt sich dem Betrachter auch bei der Arbeit
„Eidechse“ (1992) geradezu körperlich mit, wenn die
Zerbrechlichkeit des Arrangements durch das filigrane
Element Schnur hervorgehoben wird, die im Gegensatz zu den wuchtigen Metallblöcken steht.
Diese dynamische Spannung wird auch bei dem Werk „Ohne Titel“ (1991) verdeutlicht, wo eine
Schildkröte von einer unter ihrem Bauch befindlichen Stahlfeder so
in die Höhe gepresst wird, dass sich das Tier nur durch äußerst gedehntes Umklammern der
Ecken davor bewahren kann, von der kleinen Tischplatte auf enorm gestelzten Beinen
heruntergeschleudert zu werden. Die Installation „Blaumeise“ (1993) verdeutlicht die Dynamik
durch ein Gummiband, das eine diagonale Linie zwischen dem Vogel und einer offenbar
dadurch leicht gebogenen Stahlstange bildet.
Christoph Mause, 1965 in
Meschede geboren, studierte bis
zu seinem Abschluss 1994 in der
Bildhauer-Klasse von
Ruthenbeck nicht nur Freie
Kunst und Kunsterziehung an
der Akademie in Münster,
sondern auch Katholische
Theologie. Obwohl die sachlichen
‘Titel’ seiner Kompositionen
selten Hinweise auf intendierte
Sinnzusammenhänge nahe
legen oder zu auszuufernder
Metaphorik auffordern, kann sich
der Betrachter einer
automatischen Assoziationskette kaum entziehen, etwa wenn eine umrisshaft gemalte
Schlange sich auf dem schlicht „Tuch“ genannten Werk aus dem Jahr 1995 einem gebannt
starrenden Kaninchen nähert oder wenn „Zwei Frösche“ (1992) die Sprossen der
gegeneinander gelehnten Leiter um die Wette emporklettern.
Weder der traditionellen Plastik
noch einer Bildhauerei im
ursprünglichen Sinne
verpflichtet, pointiert Mause in
einigen Arbeiten wie „Spiegelei“
(1995) den ihnen innewohnenden
Humor, wobei sich selbst hier -
sozusagen ab ovo bzw. pränatal -
eine drohende Dramatik
andeutet, da schließlich acht
Pfannen in eindeutiger Absicht
lauernd ein Hühnerei einkesseln.
Dieses Moment latenter
Bedrohung findet sich in
mehreren Werken, etwa wenn
über dem stolzen „Korallenfisch“ (1996) eine verführerisch
geschwungene Angelschnur baumelt oder sich in der
Installation „Frosch und Raupe“ (1992) diese Fressfeinde auf
zwei Raumfühler einander zustrebenden Halmen
entgegentasten oder in „Dunkle Bilder“ (1995) eine
Fledermaus und ein Schmetterling die
Kontrapunkte markieren.
Neben diesen denklogisch
möglichen Konstellationen
konfrontiert der Künstler aber auch
scheinbar unvereinbare Gegensätze,
etwa wenn eine Schildkröte auf
einer kurvig aufstrebenden
Eisenbahntrasse ins Nichts kriechen
lässt oder eine Schlange zur
Klammer eines scharfkantig
gewölbten Zinkblechs wird. Die
überraschenden Verfremdungen
können neben der Irritation auch
das Ziel haben, in Beziehung
miteinander gesetzt zu werden, wie
beispielsweise das Objekt
„Königskinder“ (1996)
veranschaulicht: Zwei einander
zugewandte Goldfische befinden
sich in Einmachgläsern isoliert
auf hohen vierkantigen
Naturholzkonsolen gegenüber
und können sprichwörtlich
nie zusammenkommen.
Die mitunter wie absurde Versuchsanordnungen wirkenden Objektinstallationen zeichnen sich
durch die Präzision ihrer reduzierten Ästhetik, durch ihre formale Verknappung aus, die ihnen
gleichsam eine meditative Aura verleiht, ohne dass ihnen der ansonsten in der Plastik seltene
Esprit fehlt. Dieser ist nicht anekdotisch begründet, sondern entspringt den plastischen und
räumlichen Subtilitäten konträrer Begegnungen von vertrauten Versatzstücken, die in eine
spannende Verfremdung eintreten.
Gleichzeitig lassen die rätselhaften Dialoge dem Betrachter Freiräume für eigene Sinnsuche.
Ihre mitunter ironische Leichtigkeit oszilliert zwischen Täuschung und Wahrheit, indem sie mit
raffinierten Widersprüchen wie den formstrengen Elementen der ‘Minimal Art’ und den
realistischen Aspekten von Tierrequisiten spielt, ohne dabei endgültige Erklärungen zu liefern.
Da auch ich diese nicht geben werde, verweise ich Sie auf die Werke selbst.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, beglückwünsche den Künstler zu seiner im
wortwörtlichen Sinne erstaunlichen und vielschichtigen Präsentation sowie die Veranstalter für
ihr anregendes Programm. Die Ausstellung ist hiermit eröffnet.
Eidechse, Detail 1992
(Eröffnungsrede zur Ausstellung „Tierobjekte“ von Christoph Mause, Bürgerhaus
Selm, 17. Februar - 2. März 1997 zur Vernissage am 16. Februar 1997)
Vier Maulwürfe, 1993
Eidechse, 1992
Blaumeise, 1993
Ohne Titel, 1991
Tuch, 1994
Zwei Frösche, 1992
Königskinder, Detail, 1996
Ohne Titel, 1991
Spiegelei, 1995
Dunkle Bilder, 1995
Korallenfisch, 1996
Schlange, 1994
Königskinder, 1996